Mit seiner selbstentwickelten Tanzkamera kreiert Paul Pape individuelle, fotografische Tanz-Szenogramme. 

3 Tänzer und 7 Musiker erschaffen in einem performativen Dialog mit der Kamera ganz eigene neue Bewegungschiffren. Ihr Rhythmus und die Dynamik der entstehenden Klang- und Bildräume reagieren mit der  lichtempfindlichen Emulsion des Bildträgers und verdichten sich in Form einer Langzeitbelichtung. Auf dem Fotopapier zeichnet sich sowohl eine schemenhafte figürliche Abbildung der Situation ab als auch die zur Linienzeichnung gewordene Spur der das Licht leitenden Bewegungen. Möglich wird diese Abbildung durch eine 3D-gedruckte Kamerakonstruktion, welche über Fäden mit den Gliedmaßen der Tanzenden verbunden ist.

Konzept & Idee Paul Pape | Kamerabau Felix Pape | Kostüm Agnes Storch | Grafik Veerle Vervliet 
Tanz Joanna Gruberska, Geraldine Rosteius & Ewelina Zielonka
Musik Moritz Schneidewendt, Johanna Zehendner, Leonhard Dering, Kasia Kadlubowska, Marlen Korf, Raphaël Languillat & Timm Roller

Beim Tanzen zur Musik werden Rhythmus und Dynamik eines Klangraums in eine neue Räumlichkeit übersetzt. Ein durch Choreographie oder Improvisation getragener Impuls wird dabei mit den physischen Möglichkeiten, Grenzen und Anstrengungen innerhalb der Bewegungsfolge konfrontiert. Sichtbar wird ein fragiles Spiel der Potentiale. Die Tanzkamera Obscura nun scheint sich anzumaßen, diese flüchtige Bewegung in einer statischen Aufnahme aufzuzeichnen – ähnlich wie moderne Wissenschaft und Bildgebungsverfahren für eine Entzauberung der Welt angetreten ist. Die Aufnahmen der Camera Obscura dienen hier jedoch keineswegs der anatomischen Zergliederung, sondern einer weiteren Verschachtelung der Ebenen des Wahrnehmbaren. Auf dem Fotopapier zeichnet sich sowohl eine schemenhafte figürliche Abbildung der Situation ab als auch die zur Linienzeichnung gewordene Spur der das Licht leitenden Bewegungen. Möglich wird diese Überlagerung durch eine 3D-gedruckte Kamerakonstruktion, welche über Fäden mit den Gliedmaßen der Tanzenden verbunden ist. Schon der Entstehungsprozess bietet also das Bild eines Abhängigkeitsverhältnisses, in dem aber alles andere als klar ist, wer hier wen bindet, zieht und bannt.
Eine ikonographische Verwandtschaft zum Marionettentheater drängt sich auf – in umgekehrter Weise: der Mensch wird nicht als Figur in einer Geschichte, als Darsteller in einer Rolle gelenkt, sondern lenkt selbst die Parameter, die sein Bild, aus mittels tänzerischer Bewegungen zusammengetragen Spuren des Lichts, hervorbringen. Dementsprechend ist das Ergebnis, wie man in Anlehnung an Kleist sagen könnte, nicht ‚bewusstloses‘ Fließen der Bewegung, sondern Lückenhaftigkeit, im Austesten der Spielräume im Dialog mit einem anderen, dessen Sprache noch gelernt werden muss. Der Apparat ist nicht bloß technische Spielerei, die eine Welt der Daten, der Gegebenheiten, reproduziert, um konkrete Erfahrungen auswertungsbereit zu abstrahieren. Ebenso wenig sind die Tanzenden beliebige Ressource oder ‚Reserve‘ des Lebendigen, die der Technik zugeführt wird. Genauso wie die Camera Obscura mit ihnen tanzt, tanzen sie mit ihr. Verschiedene Rhythmen treffen aufeinander, verwickeln sich Hand in Hand. Die Apparatur bleibt fehleranfällig: Manchmal entsteht ein weißes Bild, in dem sich sogar die Spur des Ephemeren bereits verflüchtigt zu haben scheint.

 

Belichtungen der Tanzkamera Obscura

  • Musik: Didos Lament, 
„Sleeping in Space
    Kasia Kadlubowska & Johanna Zehendner
    Musik: Didos Lament, „Sleeping in Space" | Tanz: Joanna Gruberska
  • Musik: Didos Lament, 
„Sleeping in Space
    Kasia Kadlubowska & Johanna Zehendner
    Musik: Didos Lament, „Sleeping in Space" | Tanz: Joanna Gruberska
  • „Vers la flamme“, Poème op. 72 von Alexander Skrjabin | Tanz:
Joanna Gruberska & Ewelina Zielonka
    Leonhard Dering
    „Vers la flamme“, Poème op. 72 von Alexander Skrjabin | Tanz: Joanna Gruberska & Ewelina Zielonka
  • „Vers la flamme“, Poème op. 72 von Alexander Skrjabin | Tanz:
Joanna Gruberska & Ewelina Zielonka
    Leonhard Dering
    „Vers la flamme“, Poème op. 72 von Alexander Skrjabin | Tanz: Joanna Gruberska & Ewelina Zielonka
  • „Kaddisch“ aus
    Marlen Korf & Leonhard Dering
    „Kaddisch“ aus "Deux Mélodies hébraïques" von Maurice Ravel | Tanz: Geraldine Rosteius
  • „Kaddisch“ aus
    Marlen Korf & Leonhard Dering
    „Kaddisch“ aus "Deux Mélodies hébraïques" von Maurice Ravel | Tanz: Geraldine Rosteius
  • Tanz: Ewelina Zielonka
    Raphaël Languillat & Moritz Schneidewendt
    Tanz: Ewelina Zielonka
  • Tanz: Ewelina Zielonka
    Raphaël Languillat & Moritz Schneidewendt
    Tanz: Ewelina Zielonka
  • „Fluff“ | Tanz: Geraldine Rosteius
    Timm Roller
    „Fluff“ | Tanz: Geraldine Rosteius
  • „Fluff“ | Tanz: Geraldine Rosteius
    Timm Roller
    „Fluff“ | Tanz: Geraldine Rosteius
 

Was, wenn die Musik unsere Wünsche und Verlangen ist, die uns bewegen, nach denen wir uns bewegen? Wenn die Fäden innerhalb dieser performativen Aufnahmetechnik den Abstand zwischen dem Handy und uns selbst, zwischen unserem Bild in den Social Media und unserer physischen Person repräsentierten? Der Abstand zwischen unterschiedlichen Modi und Medien des Erscheinens ist, ähnlich wie die komplizierte Kameratechnik, nie ganz kontrollierbar – ebenso wenig aber unserem gestalterischen Einfluss entzogen. Was uns zieht, kann auch gezogen werden. So erscheint der bildgebende Prozess hier geradezu als ‚kreative Schleife‘ aus einander weniger kompensierenden als vielmehr bereichernden Ableitungen: Die Musik lenkt die Bewegung, die Bewegung lenkt, lichtzeichnerisch, das Bild, das, wie eine Notation, erneut als Musikkomposition oder Choreografie ausgelesen werden könnte. Die Aufzeichnung der Bewegung ist mehr noch im Sinne eines wechselseitigen Beäugens zwischen Mensch und Maschine zu betrachten: Aufgenommen wird daraus ein Überschuss, der einen ästhetischen Rückstoß auf unser Welt- und Selbstverhältnis entfaltet und Gewohnheiten des „Bildermachens“ aus der Ordnung wirft.

Der Philosoph Federico Campagna führt gegen eine instrumentelle Vernunft, welche die äußere und innere Natur beherrschen und verwertbar machen will, einen ästhetisch oppositionellen Begriff ein. Die Realität, deren Verlust qua Durchdringung mit Technik droht, muss demnach durch etwas angereichert werden, das sie überschreitet. Dieses Etwas erfüllt wohl schon immer unsere Erfahrung des Tanzens. Es ergibt sich im Moment der Interaktion, die nicht anwendbares Geheimnis bleibt: »Magic«!

Ellen Wagner
Felix Kosok

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